Die normannische Eroberung

Die Machtübernahme in England durch die Normannen und die Auswirkung auf Schottland

Die große Zäsur, welche ich unter dem gewählten Titel sehe, ist die Eroberung der englische Krone durch Wilhelm den Eroberer im Jahre 1066 und betraf zunächst nur das Gebiet von England. Der Hintergrund dieser Epoche von etwa 900 -1200 reicht jedoch viel weiter zurück und letztlich waren in das Geschehen weit mehr Regionen und Mächtegruppen verknüpft als nur die Englands. Eigentlich entwickelte sich alles als eine Episode der Wikinger-Raids in Nordeuropa, die sich als prägend für die Machtstrukturen des Mittelalters in Europa und darüber hinaus darstellte.

Erster Akt: Vorgeschichte

Für unseren Eintrittspunkt in die Geschichte Nordeuropas können wir hier den Überfall der Wikinger auf das Kloster Lindisfarne um 793 wählen, da er so etwa den Zeitpunkt markiert, da sich die Überfälle der Wikinger auf die benachbarten Küstenregionen und Inseln Nordeuropas häuften und damit eine neue Dimension annahmen. So waren bald auch die westlichen Küsten und Inseln Britanniens von den Raids betroffen, Irland und die Nordküste des Frankenreiches. Teilweise drangen die Wikinger mit ihren flachen und gut manövrierbaren Schiffen auch über die Mündungen der größeren Flüsse in das Landesinnere vor. Zum Teil nehmen sie Winterquartier auf den vorgelagerten Inseln und verzichten auf die zeitweilige Rückkehr nach Skandinavien. Zeitpunkt und Ort der Überfälle sind den jeweiligen lokalen Herrschern meist nicht bekannt und aufgrund der Schnelligkeit ihrer Überfälle sind diese meistens von Erfolg gekrönt. Teilweise greifen die jeweiligen Herrscher tief in die eigenen Taschen und finden die Wikinger mit hohen Tributzahlungen ab, da sie sich ihrer nicht mehr auf andere Weise erwehren können. Manchmal gehen die lokalen Herrscher sogar Allianzen mit den jeweiligen Wikingergruppen ein, in denen sie ihren Allianzpartner zur Landesverteidigung verpflichten. Aber ihre Allianzpartner sind entweder treulos oder zu schwach, um sich gegen andere Horden zu behaupten.

Zweiter Akt: Rollo und die Normandie

Um 885 setzt sich ein gewaltiges Wikingerheer die Seine hinauf Richtung Paris in Bewegung. Mit ca. 300 Schiffen streben sie die strategisch bedeutsame Stadt an. Doch die Stadt hält stand. Aber es ist noch lange nicht vorbei, die Belagerung hält an. Ende des darauffolgenden Jahres kommt Kaiser Karl zu Hilfe, indem er den Wikingern einen Tribut in Silber verspricht – zum Kampf ist er nicht ausreichend gerüstet.

Auch der Wikingerführer Rollo nimmt zeitweilig an der Belagerung teil. Doch er unternimmt mit seinen Mannen in dieser Zeit auch anderswo Raubzüge (Bayeux) und wendet sich letztlich aber wieder dem Frankenreich zu.  Rollo ist von offenbar hünenhafter Gestalt. Zumindest wird er von seinen Zeitgenossen so dargestellt und offenbar auch ein charismatischer Anführer (wie man es sich in heutigen Filmen so vorstellt). Ihm trauen die Franken offenbar zu, mit seiner Hilfe die übrigen Nordmänner abzuwehren. So galt es, ihn auf die eigene Seite zu bewegen. Als erster geht wohl der Erzbischof von Rouen, im Auftrag oder zumindest Einvernehmen mit Markgraf Robert zu abtastenden Gesprächen mit Rollo ins Rennen, um ihn zu einem Bündnis zu bewegen. Als Angebot haben die Franken eine dauerhafte Ansiedlung seiner Leute im Gebiet von Rouen unter Zugabe der Tochter Gisla von König Karl zur Frau als Sicherheitspfand. 911 besiegeln Rollo und Markgraf Robert an den Ufern des Epte den Bund. Damit verpflichten sie Rollo und seine Nordmänner zur Annahme des christlichen Glaubens und zur Anerkennung ihrer Normen und Werte. Die Grenzen von Rollos Land umfassen zu dieser Zeit in etwa das Erzbistum von Rouen. Von dort aus baut Rollo seine Verwaltung auf. Die Überfälle in diesem Gebiet enden abrupt. Rollo regiert mit harter Hand. Die Strafen für Raub werden verschärft. Viele Ämter besetzt er mit skandinavischen Gefolgsleuten und er kann freies Land an seine Vertrauten verteilen. Rollo befindet sich inmitten eines Zwists zwischen König Karl und Markgraf Robert, der in einer Schlacht gegen Karl stirbt. Sein Schwiegersohn Rudolf wird neuer König. Rollo, der sich zunächst noch an Karl gebunden fühlt, wechselt 924 auf Rudolfs Seite und erhält dafür ein weites Gebiet nach Westen bis Bayeux von ihm zugebilligt.

Doch es tauchen neue Probleme auf. Zum ersten begehren die Wikinger auf, die sich bereits vor Rollos Herrschaft im Westen niedergelassen hatten, zum zweiten wollen andere Adlige aus Rudolfs Anhängerschaft Rollo die Quasi-Regentschaft streitig machen und fallen mit Truppen ein und zum dritten entsteht auch unter den Fürsten im Nordosten aufgrund Rollos Attacken eine gewisse Unruhe. Rollo ist bereits um die 70 und sieht, dass er all dem nicht mehr standhalten kann und bezieht seinen Sohn Wilhelm mit ein in die Regierungsgeschäfte. Wilhelm rettet die Lage im Grunde durch geschicktes Lavieren zwischen den verfeindeten Lagern. Es kehrt eine gewisse Ruhe ein. 932 stirbt Rollo, ein Wikinger, der zu einem christlichen Fürsten wurde.NormandieDoch bereits kurz nach seinem Tod flammen die Unruhen wieder auf. Unzufriedene Nordmänner sind eine ständige Bedrohung für Wilhelm. Zunächst kann er jedoch die Unruhen niederschlagen und erweitert sein Herrschaftsgebiet nach Westen bis zum Atlantik mit Zustimmung von König Rudolf. Doch auch nach Osten strebte er, wie sein Vater, eine Ausdehnung des Machtbereiches an. Erwartungsgemäß kam er auf diese Weise in Konflikt mit den dortigen Herrschern, insbesondere mit Arnulf von Flandern. 942 wird Wilhelm bei einem Verhandlungstreffen an der Somme von Arnulf ermordet. Wilhelms Sohn Richard ist noch minderjährig. König Ludwig versucht, die Grafschaft unter seine Kontrolle zu bringen während die Wikinger Unruhen anzetteln. Richard kann sich unter Anbindung an Hugo behaupten. Er regiert so 50 Jahre lang als Richard II und bindet weitere Wikingergruppen in seinem Herrschaftsgebiet ein. 987 beansprucht Richard den Herzogstitel, den höchsten Adelsrang unter dem König. Als Richard 996 stirbt, ist aus dem Gebiet um Rouen ein politisch gefestigtes Fürstentum mit einer großenteils geeinten Bevölkerung geworden. Es nennt sich Herzogtum Normandie.

Dritter Akt: Machtübernahme in England

Im Jahre 1002 heiratet Aethelred, der König von England Emma, die Schwester Richards II. Sie prägt damit die Verbindung zwischen der Normandie und England. 1016 stirbt Aethelred, woraufhin der dänische Herrscher Knut die Krone im Inselreich England ergreift und auch Aethelreds Gemahlin Emma übernimmt. Da Emma mittlerweile das Reich besser kennt als Knut, beginnt ihr Einfluss zu wachsen.

In der Normandie stirbt 1035 der normannische Herzog Robert und vererbt damit seinem erst achtjährigen und noch unmündigem Sohn Wilhelm das Fürstentum. Die vom Vater ernannten Mentoren und Vormünder sterben oder werden ermordet. Es sammeln sich die Feinde, um den jungen Herrscher zu stürzen. So fällt die Normandie abermals in eine Krise. Mit Hilfe des Königs kann sich Wilhelm jedoch 1047 behaupten und durch geschickte Heirat (Tochter des Grafen von Flandern) kann er die Normandie stabilisieren und baut eine neue, junge Adelsclique auf.

Am 5. Januar 1066 stirbt Eduard, ein Sohn aus Emmas erster Ehe mit Aethelred. Als Nachfolger wird postwendend Harold Godwinson, Aethelreds Schwager, in London zum König gewählt. Wahrscheinlich ist jedoch, dass Eduard den Herzog der Normandie Wilhelm zum Thronfolger bestimmt hatte und Wilhelm lässt von seinem Thronanspruch auch nicht ab, beginnt eine mächtige Flotte zusammenzustellen und Kämpfer um sich zu sammeln. Im Oktober setzt Wilhelm mit seiner Flotte nach England über schlägt bei Hastings die Truppen von König Harold, welcher auf dem Schlachtfeld stirbt. Am Weihnachtstag 1066 wird Wilhelm, nun mit dem Beinamen „der Eroberer“, in der Westminster Abbey zum neuen König von England gekrönt. Bald schon regt sich Widerstand. Doch bis 1071 haben die Normannen nahezu alle englischen Gebiete militärisch gesichert, teilweise mit brachialer militärischer Gewalt. Wilhelm enteignet fast den gesamten heimischen Adel und vergibt die Ländereien an normannische Edelleute. Amtssprachen werden Latein und Französisch. Die Normannen errichten ein riesiges Netz von Burgen. 1086 lässt Wilhelm eine Bestandsaufnahme der Ländereien und Besitzverhältnisse in England durchführen mit dem Ziel, effizienter an die entsprechenden Einnahmen zu gelangen. Das entstandene Verzeichnis wird als „Domesday Book“ bezeichnet und es stellt eine der bedeutendsten Quellen der englischen Geschichte dar.

1087 stirbt Wilhelm der Eroberer. Von seinen drei Söhnen erbt Robert das Herzogtum Normandie und sein jüngerer Bruder Wilhelm das Königreich England. Der Jüngste, Heinrich erhält eine große Summe Geldes. Es entbrennt ein Bruderkrieg zwischen Robert und Wilhelm II. Jeder will über beide Reiche herrschen. 1096 entschließt sich Robert auf Kreuzzug zu gehen und verpfändet sein Herzogtum an Wilhelm. Wilhelm verleibt sich in dieser Zeit die benachbarte Region Maine ein. 1100 wird Wilhelm II. auf einer Jagd durch einen Pfeil tödlich verwundet. Heinrich eilt daraufhin nach London und lässt sich entgegen aller Abmachungen dort zum König krönen. Robert ist noch auf dem Rückweg aus dem Heiligen Land und kann Heinrichs Aktionen nicht verhindern. Doch Robert gibt nicht auf. 1106 gewinnt letztlich Heinrich I. nach zwei Jahren Krieg mit seinem Bruder Robert die Entscheidungsschlacht um die Normandie und nimmt den Bruder gefangen. Damit sind die Normannenreiche auf beiden Seiten des Ärmelkanals wieder in einer Hand.

Ende November 1120 nimmt das „Weiße Schiff“ von der Normandie Kurs auf England. Unter den Passagieren der weinseligen vornehmen Gesellschaft ist auch der einzige Sohn Heinrichs I, Wilhelm Aetheling, der einzige Thronfolger. Das Schiff sinkt vor der Küste der Normandie. Mit etwa 300 Toten, darunter zahlreiche Gefolgsleute Heinrichs I, ist es eines der größten Seeunglücke des Mittelalters. Es droht eine dynastische Krise. Heinrich entscheidet sich, seine eheliche Tochter Mathilde als seine Nachfolgerin zu bestimmen und lässt die normannische Elite 1127 auf sie schwören. Doch dies wird nicht allseits akzeptiert. So arrangiert Heinrich die Hochzeit Mathildes mit Gottfried, dem designierten Nachfolger des Grafen von Anjou. Die Normannen murren, da Gottfried kein Normanne ist. Ende 1135 verstirbt Heinrich unerwartet. Die Situation ist recht verzwickt und es entsteht zunächst ein Machtvakuum. Sein Neffe Stephan von Blois macht sich die Situation zunutze, reist nach London und Winchester, um Adlige und Kleriker auf sich einzuschwören und wird letztlich zum neuen König gekrönt. Wieder flammen die Unruhen auf. Schließlich aber kann sich der Sohn von Mathilde und Gottfried mit König Stephan arrangieren und folgt diesem 1154 als Heinrich II auf den englischen Thron. Er regiert nun über viele Territorien, in Britannien über England und Schottland.

Vierter Akt: Auswirkungen auf Schottland         

1066 herrscht in Schottland mit Malcolm III ein Spross der Canmore-Dynastie. Von der Übernahme der englischen Krone durch Wilhelm den Eroberer waren sie zunächst nicht wesentlich betroffen, obwohl sich Malcolm immer wieder gegen Wilhelm wandte. Aber bald schon schwappten die Maßnahmen, welche Wilhelm umsetzte, auch nach Schottland hinauf.

Unmittelbar nach der Schlacht von Hastings 1066, die Wilhelms Machtübernahme besiegelte floh Margaret, die älteste Tochter von Edmund Aetheling nach Schottland und heiratete dort Malcolm III. Malcolm unterwarf sich zwar zweimal dem englischen König Wilhelm, doch die Beziehungen waren nie einvernehmlich und auch von kriegerischen Auseinandersetzungen begleitet, die sich vor allem auf Gebiete in Northumbria bezogen, die Malcolm in schottisches Territorium einbeziehen wollte. 1072 arrangiert sich Malcolm mit Wilhelm über die englisch-schottische Grenze im Norden Englands.

Über England kamen die Normannen auch nach Schottland, bauten Burgen und begründeten Adelsfamilien, die künftige Könige wie Robert I stellten. Sie gründeten auch einige schottische Clans. Alexander I, der ältere Bruder von König David I, heiratete Sybilla von der Normandie. David I stellte die normannische Kultur den Schotten vor und verbrachte Zeit am Hof von König Heinrich I der seinerseits Edith von Schottland, die Schwester Davids, heiratete. Um das Königreich der Herrschaft seines Halbbruders, Máel Coluim mac Alaxandair, zu entziehen, musste David viele Menschen mit Ländereien bedenken. Das Verfahren wurde unter den Nachfolgern Davids fortgesetzt, am meisten unter Wilhelm I. Das von den Normannen stammende Feudalsystem wurde in unterschiedlichem Ausmaß in großen Teilen Schottlands eingeführt. Schottische Familien wie die Bruce, Ramsay, Fraser, Ogilvy, Montgomery, Sinclair, Pollock, Douglas oder Gordon und auch das spätere Haus Stuart sind alle auf normannische Wurzeln zurückzuführen.


Verwendete Literatur:
In großen Teilen aus: „Die Normannen“ in Magazin GEOEPOCHE Nr. 125

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