Dal Riata

Wenn wir etwas über Dal Riata (auch: Dalriada) wissen wollen, müssen wir uns in die Zeit des frühen Mittelalters zurückbegeben. Leider besteht das große Manko früher schottischer Geschichtsschreibung grundsätzlich darin, dass Schottland, anders als z.B. das europäische Festland, nie von den Römern besetzt war. Mithin gibt es praktisch auch keine römischen Aufzeichnungen aus jener Zeit. Das, was aus den wenigen historischen Quellen gewonnen werden kann, ist oft einer relativ weiten Interpretation anheim gestellt. Also beziehe ich mich auf das, was mir zur Verfügung steht und hoffe, die kleinen Widersprüchlichkeiten in einem einigermaßen runden Bild auflösen zu können, was auf Kosten einer Vollständigkeit und Umfassendheit in Kauf zu nehmen ist.

Wenn wir die Pikten als die schottischen Ureinwohner ansehen, so wissen wir doch nicht, woher sie gekommen sind. Auf jeden Fall sind sie nicht keltischen Ursprungs und wir wollen es bei dieser Feststellung belassen. Sie besiedelten das Gebiet Nordschottlands, als um etwa 500 n.C. keltische Stämme, die Scots, von Irland aus in kleiner Zahl versuchten, im Norden der britischen Insel Fuß zu fassen. Unter Fergus Mor und seinen zwei Brüdern errichteten sie Stützpunkte unter anderem in Kintyre, Lorn, Islay und Jura. Der als cenel nGabrain bezeichnete Zweig besiedelte das Gebiet des südlichen Argyll und auch Teile von Antrim (Nordostirland). Es bildete sich hieraus ein Reich, welches später als Dal Riata bezeichnet wird. Die Bewohner sind damit vorwiegend Nachfahren des Domangart Reti und sie werden etwa ein Jahrhundert später als Corcu Reti bezeichnet. Die Hauptstadt war die legendäre Festung von Dunadd (heute als Hügel in der Nähe von Kilmartin bei Lochgilphead zu sehen).

Die politische Entwicklung wurde geprägt von der Person eines irischen Mönches namens Columba, der sich 563 auf der Insel Iona angesiedelt hatte. Er war ein Vetter des irischen Großkönigs, der im 5. Jhrh. über dieses Reich herrschte und verfügte somit über beträchtlichen politischen Einfluss.  Während die übrigen irischen Stützpunkte in anderen Strukturen aufgingen, verdankte es der Urenkel von Fergus Mor, Aidan Mac Gabrain (Von Columba zum König gekrönt um 576, gest. 608), als König eines relativ zerstreuten Dal Riata, unter anderem dem Wirken von Columba, dass Dal Riata erstarkte und sich frei von irischem Einfluss machen konnte, wobei es sich allerdings in ständige Händel mit den ansässigen piktischen Stämmen sowie den von Süden her drängenden Britonen verwickelt sah. Allerdings wurden andererseits auch die piktischen Nachbarn unablässig von den Übergriffen der Angeln und Sachsen heimgesucht, so dass sich die Scots nicht nur behaupten konnten, sondern ihr Druck ostwärts sogar zeitweilig von einigem Erfolg gekrönt war. Von dieser Zeit an wird das Schicksal Dal Riatas über lange Zeit von der Königsfamilie der Gabrain bestimmt. Sowohl Dal Riata als auch das piktische Fortriu befanden sich in jener Zeit in einem ständigen Mehrfrontenkrieg, zum Einen untereinander und zum Anderen gegenüber ihren südlichen Nachbarn, den Northumbriern (Bernicia, Deira). Mit dem Sieg von Nechtansmere im Jahre 685 konnte sich Bridei mac Beli (Fortriu) über Ecgfrith, den König von Bernicia, durchsetzen, was zu einer bedeutenden Stabilisierung des piktischen Fortriu führte und sich im Weiteren auch in einem zunehmenden Druck auch auf Dal Riata auswirkte. Um 736 schließlich führte Oengus MacFergus (Onuist son of Vurguist) ein piktisches Heer nach Dal Riata und brannte möglicherweise Dunadd nieder. Dies führte offenbar in den Folgejahren zu einer piktischen Vorherrschaft im Kintyre-Gebiet über die Scots der Cenel nGabrain.

Im 8. Jhrh. hat man es im Raum des heutigen Schottland mit vier einigermaßen stabilen politischen Reichen zu tun, Dal Riata mit der Hauptstadt Dunadd im Nordwesten, dessen Bewohner vorwiegend die aus Irland eingewanderten Scots und somit gälischen Ursprungs sind,  Fortriu im Nordosten mit der Hauptstadt Scone, dessen Bewohner piktischen Ursprungs sind, Strathclyde im Südwesten mit einer britischen und romanisierten Bevölkerung sowie Northumbria im Südosten, welches sich im Wesentlichen aus Bernicia und Deira herausgebildet hatte (Angeln). Diese vier politischen Einheiten lagen in dieser Zeit praktisch in einem unablässigen Eroberungs- und Einigungskampf.

Geprägt von den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen neigen wir dazu, Kriege grundsätzlich als Nationen- oder Klassenauseinandersetzungen anzusehen. Diese Betrachtungsweise wird den damaligen Verhältnissen allerdings wohl kaum gerecht. Die benachbarten Herrschaftsbereiche waren mehr oder weniger dissimiliert. Macht, Einfluss und Reichtum spielten die dominierende Rolle auch über nationale Grenzlinien, die wir heute ziehen, hinaus. Heirat war ein ebenso probates Mittel, zu Macht und Einfluss zu gelangen wie die kriegerische Auseinandersetzung und Zweckbündnisse waren an der Tagesordnung. Dies ist wahrscheinlich die einleuchtendste Erklärung für die offensichtliche Anfälligkeit sowohl piktischer als auch scotischer Königreiche gegenüber ihren bretonischen und northumbrischen Gegenspielern, mit denen sie zudem ebenfalls mannigfach verschwägert waren.

Auf diesem Boden ist der Erfolg von Kenneth McAlpin am ehesten zu verstehen, welcher den Prozess zur Herausbildung eines einheitlichen Schottlands ohne nennenswerte kriegerische Handlungen in Gang setzte. Zwar fiel auch er vor dem Hintergrund eines Angriffs im Jahr 841 in piktisches Territorium ein, jedoch sind im weiteren über Jahrhunderte, welche die McAlpins regierten, keine nennenswerten Auseinandersetzungen mit den Pikten bekannt. Mit anderen Worten, es existierte kein national geprägtes Feindbild. Die Durchsetzung eines geimeinschaftlichen Vorteils genügte offenbar, eine allgemein akzeptierte Einheit, unter anderem, zwischen Dal Riata und Fortriu, Scots und Pikten herzustellen. So wurde der Scote Kenneth McAlpine in Fortriu (!) zum ersten König eines vereinten Schottlands von Picts and Scots.

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Quellen:

H. Schreiber, „Die Geschichte Schottlands“, Weltbild Verlag GmbH Augsburg, 1995.

J. Sadler, „Scottish Battles from Mons Graupius to Culloden“, Canongate Books Ltd. Edinburgh, 1996.

James E. Fraser, „From Caledonia to Pictland – Scotland to 795“, Edinburgh University Press Ltd, 2009.

Territorialkarte: Wikipedia